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Kirche in der Welt
Im Gregorianischen Choral ist die Melodieführung vollkommen der Schrift untergeordnet

In Töne gemeißeltes Gotteswort

In Töne gemeißeltes Gotteswort
Die Zisterzienser von Heiligenkreuz beten das ganze Chorgebet in Latein und singen dabei den Gregorianischen Choral.
Von Mattia Rossi

Der hl. Paulus betont im Römerbrief, daß der Glaube vom Hören kommt (vgl. 10,17): In diesem Jahr des Glaubens ist es besonders angebracht, bei dieser paulinischen Aussage zu verweilen und sie auch noch einmal unter dem Vorzeichen jenes Bereichs der Sakralkunst zu lesen, in dem das Hören im Mittelpunkt steht, nämlich der Musik. Und im Gregorianischen Choral begegnen wir einer vollkommenen und perfekten Exegese des Wortes: die völlige Unterordnung der gregorianischen Melodieführung unter das Wort führt dazu, daß diese Kunstform zur lectio divina wird. Die Kirche bemüht sich im Gregorianischen Choral keineswegs nur um die »Verkündigung« eines Textes, sondern sie »interpretiert« ihn und garantiert dadurch, daß sie ihn als »offiziellen Gesang« darbietet, ein korrektes Verständnis der Liturgie, insofern er der korrekte Ausdruck des göttlichen Wortes in Tönen ist.

Dies tut der Gregorianische Choral keineswegs nur im Allgemeinen, sondern auch in den einzelnen Gesängen, die im gesamten Repertoire hier und da explizit vom Glauben sprechen.

Um das zu illustrieren, seien zwei höchst faszinierende Beispiele dafür angeführt, wie der Gregorianische Choral sich mit dem Thema des Glaubens auseinandersetzt.

Einer der unter rhetorischem Gesichtspunkt am besten aufgebauten Gesänge des gregorianischen corpus ist zweifellos der Kommuniongesang Lutum fecit für den 4. Sonntag der Fastenzeit. Er ist der unter dem Namen »Vom Blindgeborenen« bekannt und zitiert die Bibelstelle, in der das Wunder einer Blindenheilung berichtet wird: Jesus macht aus Speichel und Erde einen Teig und streicht ihm dem Blinden auf die Augen: Lutum fecit ex sputo Dominus, et linivit oculos meos: et abii, et lavi, et vidi, et credidi Deo (»Der Herr machte einen Teig mit seinem Speichel und bestrich damit meine Augen: ich ging hin und wusch mich und wurde sehend und glaubte an Gott«), wie der Text der Antiphon lautet. Die im Blinden verkörperte Sehnsucht nach geistlicher Reife und Wiedergeburt im Glauben (symbolisiert durch das Wasser des Teichs von Schiloach) wird in der Kompositionsstruktur der Communio »Lutum fecit« perfekt nachgezeichnet. Der Gesang ist in all seiner generell einfachen Syllabik von Anfang bis Ende in einem stark anschwellenden crescendo konstruiert: der Leichtigkeit und rhythmischen Frische des ganzen ersten Teils entspricht eine starke Steigerung der Spannung, die auch noch durch das vierfache et … et … et … et … des Textes des zweiten Teils verstärkt wird: et abii, et lavi, et vidi, et credidi Deo (»ich ging hin und wusch mich und wurde sehend und glaubte an Gott«). Beim zweiten Verb (et lavi) wohnen wir einer ersten Erweiterung des Rhythmus bei, der dann voller Intensität ins dritte Satzelement (et vidi) mündet. Dies ist der Punkt, den der gregorianische Komponist mit der größten rhythmischen Betonung und Schwere auflädt.

Diese Haltung bringt unser musikalisches Verständnis vollkommen durcheinander: die volle musikalische Wucht und Spannung fällt nicht auf den Schluß, also das »und ich glaubte an Gott«, wie wir eigentlich erwarten könnten, sondern auf »ich wurde wieder sehend«, wodurch eine starke Erwartungshaltung erzeugt wird. Im übrigen ist dies eine Konsequenz der nur allzu menschlichen Logik des Blinden: ihn interessierte vor allem, daß er wieder sehen konnte. Der Glaube, der Glaube an Gott scheint hier fast eine natürliche Folge des Wunders zu sein, so sehr, daß et credidi Deo mit derselben Simplizität, Natürlichkeit und Leichtigkeit ausgedrückt wird, mit der der Gesang begonnen hatte. Und die Bestätigung dieses projektiven musikalischen Verlaufs, der der Ausdruck eines auf Gott ausgerichteten Glaubensprozesses ist, liegt auf der letzten Silbe von credidi, auf der wir eine Neume (»oriscus«) finden, die mit rasantem Schwung auf das verweist, was nachfolgt (Deo), als habe der Komponist noch einmal den eigentlichen Sinn des Glaubensweges betonen wollen. [...]
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