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Kirche in der Welt
Er war ein Meister der Reflexion über die Transzendenz, das Sein, das Ich und das Geschick des Menschen

Václav Havels großartige Lektion

Václav Havels großartige Lektion
Kardinal Giovanni Coppa

Rund zwei Monate nach dem Tod Václav Havels (am 18. Dezember) erweist es sich zunehmend als immer schwieriger, stichhaltig über jenen Mann zu schreiben, der im vergangenen Jahrhundert weltweit einer der bedeutendsten Protagonisten auf dem Gebiet des menschlichen Geistes und der politischen Aktion gewesen war. Aber sein Werk und sein Leben waren eins. Er hatte das selbst in seinen Aufzeichnungen festgehalten, am Ende des 136. Briefes, den er am 10. Juli 1982 aus dem Gefängnis an seine Frau Olga geschrieben hatte: »Das Schreiben fehlt mir immer mehr, und im tiefsten Inneren bin ich überzeugt davon, daß mein Leben und mein schriftstellerisches Werk eins sind.«

Havel war einer der bedeutendsten Lehrmeister der Reflexion über die großen Fragen, die sich der moderne Mensch zum Thema der Transzendenz, des Seins, des Ich und zum menschlichen Schicksal stellt. Sein Denken kreiste unermüdlich darum, Antworten auf diese Fragenkomplexe zu finden. Antworten, die letztendlich zur Auseinandersetzung mit Gott hinführen. Die Briefe an Olga, aber auch all seine anderen Werke, darunter auch die Theaterstücke Die Macht der Ohnmächtigen, Fernverhör und Ein Mann im Schloß stellen eine Fundgrube philosophischer und existentieller Reflexionen dar, die auf die letzte und schwerwiegendste aller Fragen zulaufen: die Frage nach Gott, nach Christentum und Religion. All dies wird in gewisser Weise
durch eine oft von Aporien und Widersprüchen gezeichnete Unruhe gefiltert, die aber in ihrer hartnäckigen und unersättlichen Suche zutiefst ehrlich ist.

Der Zitate gäbe es unendlich viele, man hat nur die Qual der Wahl. Ich führe hier nur einige der bedeutendsten an: »Wir kennen den Weg nicht, der aus dem Durcheinander der Welt herausführt, und wir würden uns unverzeihlicher Arroganz schuldig machen, wenn wir meinten, wir könnten dank des Wenigen, das wir zu tun vermögen, einen Ausweg erkennen, oder wenn wir uns gar anmaßten, den anderen – egal wem – uns selbst, unsere Gesellschaftsform und unsere Lösungsversuche als den einzig sinnvollen Weg vorzuschlagen, der beschritten werden könne« (Die Macht der Ohnmächtigen, S. 22 d. ital. Ausgabe, 1978). »Die Aussicht auf eine ›existentielle Revolution‹ ist […] vor allem die Aussicht auf einen moralischen Wiederaufbau der Gesellschaft, das heißt auf eine radikale Erneuerung der authentischen Beziehung des Menschen zu dem, was ich als ›menschliche [Welt]ordnung‹ bezeichnet habe (und die durch keinerlei politische Ordnung ersetzt werden kann). Eine neue Erfahrung des Seins; eine Wiederaufnahme der höchsten ›Verantwortlichkeit‹; der endlich wieder gefundene innere Bezug zu den anderen Menschen und zur ganzen menschlichen Gemeinschaft – genau das ist die Richtung, in die es zu gehen gilt« (ebd., S. 21).

»Mit der menschlichen Natur kommt etwas essentiell Neues zu Tage, etwas, das letztendlich vor allem anderen kommt, (…), etwas, das in einem gewissen Sinne ›anders‹ ist als alles andere und auch anders als es selbst. Ein Wesen, das sich das Problem des Seins stellt, das sich selbst in Frage stellt, das mehr als bloßes Sein ist, wenn es mit sich selbst konfrontiert wird. Hier kommt das Wunder des Subjekts zum Vorschein. Das Mysterium des Ich. Das Gewissen seiner selbst. Das Gewissen der Welt. Ein Ausbund an Freiheit und Verantwortung. Der Mensch, ein Wesen, das sich die Frage stellt, wer oder was es ist, woher es kommt und wohin es geht. Der Mensch, der ist und zur gleichen Zeit weiß, daß er ist, der einerseits seine eigene Wesenheit nicht voll zu erfassen vermag und anderseits zugleich nicht umhin kann, sich danach zu sehnen, seine Wesenheit zu verstehen. Das Subjekt als Mittelpunkt der Verwandlung des In-dieser-Welt-Seins« (Briefe an Olga, 129, 22. Mai 1982). »Der ›Sündenfall‹ im Dasein besteht in der Zerstörung des Gleichgewichts der wichtigsten Ziele des Lebens […] Die Voraussetzungen dieses ›Falls‹ erwachsen aus der Krise des Subjekts, insofern es Subjekt ist: es ist Ausdruck der Krise der Verantwortung des Menschen, und zugleich Vertiefung derselben. Der ›Fall‹ im Dasein besteht also darin, in einen Teufelskreis zu geraten […] Wie kann man ihn unterbrechen? Es scheint, daß es eine einzige Methode gibt, das zu erreichen: eine radikale Kehrtwendung zum Sein hin« (ebd., 136, 10. Juli 1982).  [...]
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