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Kirche in der Welt
Feierstunde in der Residenz des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl zur Erhebung der heiligen Hildegard von Bingen zur Kirchenlehrerin

Ein unbequemes, tiefes und heiliges Charisma

Vortrag von Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz, am 6. Oktober
Mit einer Feierstunde in der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl ist in Rom der heiligen Hildegard von Bingen gedacht worden, die Papst Benedikt XVI. bei einer feierlichen Zeremonie auf dem Petersplatz am 7. Oktober zur Kirchenlehrerin erhoben hat. Bei der Begegnung mit Leben und Werk der »prophetissa teutonica« waren zahlreiche Ordensfrauen des Benediktinerinnenklosters St. Hildegard aus Eibingen anwesend, die Antiphone der Hildegard rezitierten und Passagen aus ihren Schriften vortrugen. In seiner Begrüßung betonte der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl, Dr. Reinhard Schweppe, dass er sich sehr freue, dass der heiligen Hildegard der Rang einer Kirchenlehrerin verliehen werde. »Als eine der großen Frauengestalten des deutschen und europäischen Mittelalters, die mit der aufkommenden ökologischen Bewegung unserer Zeit neue Prominenz gewonnen hat, ist der heiligen Hildegard jetzt die verdiente Anerkennung gegeben worden«, so Botschafter Schweppe. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, würdigte den geistlichen Einsatz der Ordensfrauen aus Eibingen. Sie seien Sachwalterinnen des Erbes der heiligen Hildegard und würden die Erinnerung an diese Frau besonders lebendig halten: »Sie mühen sich durch das tägliche Gebet und die Feier der Eucharistie um die Fürsprache Hildegards beim Herrn. Im wahrsten Sinne des Wortes arbeiten Sie tagtäglich in Eibingen an den Wurzeln der Hildegard, die wir und die Weltkirche morgen in dieser besonderen Weise feiern dürfen«, so der Erzbischof. Äbtissin Clementia Killewald OSB, 39. Nachfolgerin der heiligen Hildegard von Bingen, bezeichnete die Erhebung Hildegards zur Kirchenlehrerin als besten Beweis dafür, »dass die Botschaft Hildegards auch heute kraftvoll und stark ist. Prophetische Gestalten überdauern die Zeiten. Und manchmal sind sie nach vielen Jahrhunderten aktueller denn je. Die heilige Hildegard ist eine solche.« Zur Feierstunde bei der Deutschen Botschaft waren hochrangige Vertreter aus der Römischen Kurie und aus dem deutschen Episkopat gekommen, u.a. der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Périsset, sowie die Kardinäle Joachim Meisner und Friedrich Wetter und weitere Bischöfe. Karl Kardinal Lehmann hielt einen Festvortrag, den wir leicht gekürzt veröffentlichen.

I. Kirchenlehrerin heute

Fast 2000 Jahre waren die Kirchenlehrer ausnahmslos Männer. Bis 1970 zählen wir 30 Theologen, denen diese Auszeichnung zu Gute kam.1 Allein im 20. Jahrhundert sind es sieben neu ernannte Kirchenlehrer. Die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil bringt eine unübersehbare Wende, denn von 1970 bis zum 7. Oktober 2012 sind es vier Frauen, die zu Kirchenlehrerinnen erhoben worden sind: die hl. Teresa von Avila am 27. September 1970 und die hl. Katharina von Siena am 4. Oktober 1970, beide durch Paul VI., sowie die Ernennung der Thérèse von Lisieux am 19. Oktober 1997 durch Johannes Paul II.

Dabei muss man auf den Rang und die Bedeutung dieser heiligen Frauen schauen. Teresa von Avila und Katharina von Siena zählen in Spanien und in Italien zu den großen literarischen Gestalten. Katharina von Siena steht z.B. neben Dante und Petrarca. Katharina ist die Hauptpatronin Italiens, Teresa ist die Patronin Spaniens. Die »kleine hl. Theresia« ist durch ihren Glaubensweg durch härteste Prüfungen hindurch im großen Dunkel des reinen Glaubens an die Liebe Gottes Vorbild eines authentischen »kleinen Weges« zur Vollkommenheit. Sie ist die zweite Patronin Frankreichs und die Hauptpatronin aller kirchlicher Missionen. Besonders die große Teresa und Katharina von Siena sind durch ihre weit gespannte Tätigkeit für eine tiefe Erneuerung der Kirche das, was man »starke Frauen« nennen kann. Sie zeigen vor allem auch in Bezug auf ihr Verhältnis zu den weltlichen und kirchlichen Herrschern ihrer Zeit ein sehr mutiges Verhalten. Sie beschworen in Briefen und persönlichen Besuchen weltliche und geistliche Würdenträger hin zu einer Gesinnungsänderung und scheuten sich nicht vor kräftigen Worten. Am 7. Oktober kommt die hl. Hildegard von Bingen hinzu (1098 bis 1179). Auch bei ihr existiert eine ausgedehnte Korrespondenz mit Päpsten, Königen, Fürsten, Bischöfen, Ordensleuten und Laien. Sie unternahm Predigtreisen vor allem an den Rhein und nach Süddeutschland, wo sie Volk und Klerus Umkehr predigte. Auch sie offenbart eine ungewöhnliche dichterische Begabung. Wenn die anderen drei genannten heiligen Frauen aus Italien, Spanien und Frankreich stammen, so ist die hl. Hildegard von Bingen die erste Frau aus dem mitteleuropäischen und besonders deutschsprachigen Bereich, die zu dieser Ehre gelangt.[…] [...]
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