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Kirche in der Welt
Referat von Kardinal Kasper über die Bedeutung der Ostkirchen in Europa beim 13. Internationalen Kongreß Renovabis in Freising

Europa atmet mit zwei Lungenflügeln

Europa atmet mit zwei Lungenflügeln
Kardinal Walter Kasper (links) und Bischof Gerhard Feige (Magdeburg).
Foto: Th. Pinzka
Beim diesjährigen internationalen Kongreß des katholischen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis gab es einen Teilnehmerrekord. Rund 380 Menschen aus 29 Ländern hatten sich zu dem Treffen angemeldet, das unter dem Motto »Einheit suchen – Vielfalt wahren. Ost und West im ökumenischen Gespräch« stand. Ziel des Kongresses war es, Kernpunkte des aktuellen ökumenischen Dialogs anzusprechen und damit zu einer lebendigen Diskussion beizutragen.

Am Eröffnungstag, 3. September, hielt der Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, Walter Kardinal Kasper, ein Referat über die Bedeutung der Ostkirchen in Europa. Im folgenden der Wortlaut seines Vortrags:

I.
Wir begehen in diesem Jahr die Erinnerung an zwei historische Daten, welche das Gesicht und die Landkarte Europas nachhaltig geprägt haben: 70 Jahre seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 und 20 Jahre seit dem Fall der Berliner Mauer 1989. Beide Ereignisse sind auch in meiner persönlichen Lebenserinnerung lebendig. Dazwischen habe ich als junger Gymnasiast 1945 die Stunde Null, den totalen Zusammenbruch erlebt, als nicht nur Deutschland sondern ganz Europa in Trümmern und physisch wie moralisch am Boden lag. Heutige Jugendliche können sich nicht mehr vorstellen, was es in dieser Situation für mich und viele meiner Altersgenossen bedeutete, als die Gründerväter Europas die Idee eines geeinten Europas formulierten. Sie wollten auf den Ruinen des Zweiten Weltkriegs ein geeintes Europa schaffen, das nach der menschenverachtenden Tyrannei des Nationalsozialismus und angesichts der damals realen Bedrohung durch den sowjetischen Kommunismus auf dem christlichen Erbe Europas und den unveräußerlichen Menschenrechten aufgebaut sein sollte.

Doch damals war Europa durch Stacheldraht und Mauer zweigeteilt. Stacheldraht und Mauer bestimmten selbst den Geschichtsunterricht im Gymnasium, wo Osteuropa praktisch nicht vorkam. Die Geographie Osteuropas lernte ich als Bub sogar auf eine geradezu perverse Weise, nämlich durch die Kriegsberichterstattung. So sprach man bezeichnenderweise vom christlichen Abendland. Erst relativ spät ging mir auf, daß der Osten eine eigene Welt und eine eigene alte und reiche, eine mit dem Westen verwandte, aber doch vom ihm auch verschiedene Kultur ist und daß man unsere westliche Idee vom christlichen Abendland nicht einfach auf den Osten übertragen kann. Es galt — wenn man so sagen darf — das christliche Morgenland zu entdecken. [...]
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