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Kirche in der Welt

Ein Mensch wie Du und ich

Ein Mensch wie Du und ich
Milos Borc; Büste von Papst Paul VI.
Vor kurzem ist in italienischer Sprache ein Buch erschienen mit einer Sammlung von Texten von Paul VI. Herausgeber ist der Direktor unserer Zeitung, Giovanni Maria Vian. (Giovanni Battista Montini, Un uomo come voi. Testi Scelti 1914-1978, a cura di Giovanni Maria Vian, Genua, Marietti-Verlag 2016, 16 Euro, 200 S., ISBN: 9788821193200).

Beim auf dieser Seite abgedruckten Text handelt es sich um die Einleitung des Bandes.


Von Giovanni Maria Vian

Im New Yorker Glaspalast hatte der Papst gerade mit seiner Ansprache begonnen, vor ihm Vertreter aus der halben Welt, die ihm aufmerksam und voller Neugier zuhörten, während er einen langen und leidenschaftlichen Text in französischer Sprache verlas. Er hatte ihn Wort für Wort selbst auf Italienisch verfasst und persönlich die Übersetzung in jene Sprache durchgesehen, die so etwas wie seine zweite Muttersprache geworden war: Seine eigene Mutter war plötzlich verstorben, während sie über einen Text von Bossuet meditierte. Er hatte als Kind Französisch gelernt und seine Kenntnisse dann als junger Priester in einem nunmehr weit zurückliegenden Sommer in Paris vervollkommnet. Vor allem hatte er sich stets mit dieser Sprache beschäftigt, sowohl wenn er die Bücher von geliebten Autoren verschlang, als auch im häufigen Gebrauch bei zahllosen Begegnungen während seines 30 Jahre währenden Dienstes im vatikanischen Staatssekretariat, mit immer größerer Verantwortung bis hin zur Spitze.

»Der zu Ihnen spricht, ist ein Mensch wie Sie. Er ist ihr Bruder«, sagte Montini. Und er fügte hinzu, während er kurz vom Text aufblickte: »Sie wissen sehr wohl, wer wir sind. Welches auch immer Ihre Meinung über den römischen Papst sein mag, sie kennen unsere Mission: Wir sind Träger einer Botschaft für die ganze Menschheit.« Ein eindrucksvolles Bild gebrauchend fuhr er fort: »… dem Boten gleich, der nach langer Reise das ihm anvertraute Schreiben überreicht«. Und »so erfüllt sich ein Wunsch, den wir seit fast zwanzig Jahrhunderten im Herzen tragen. Ja, Sie wissen es. Seit langem sind wir unterwegs. Wir sind Träger einer langen Geschichte. Wir feiern hier den Epilog einer mühsamen Pilgerfahrt auf der Suche nach einem Zwiegespräch mit der ganzen Welt, seit dem Tag, da uns aufgetragen wurde: ›Gehet hin und verkündet allen Völkern die Frohe Botschaft!‹«

Über ein halbes Jahrhundert ist seit jenem Tag vergangen und unter dem immer hektischeren Druck der Zeit ist der wahrhaft historische Besuch von Paul VI. am Sitz der Vereinten Nationen fast gänzlich in Vergessenheit geraten. Wie auch die Umrisse seines Pontifikats und seiner Gestalt weit entfernt und verblasst zu sein scheinen, eingezwängt zwischen jene weniger in Vergessenheit geratenen seines Vorgängers Roncalli – seines langjährigen Freundes, der kaum im Konklave gewählt ihn als ersten Kardinal erwählte und ihn so für das Exil von Rom entschädigte – und vor allem seines Nachfolgers Wojtyla und seines langen Pontifikats nach dem sehr kurzen und mysteriösen Zwischenspiel von Luciani. Zwar liegen das Pontifikat Montinis und die Gestalt seines Protagonisten in der öffentlichen Erinnerung nunmehr weit zurück, aber Papst Bergoglio ruft es in unseren vergesslichen Tagen mehr noch als das Heiligsprechungsverfahren in Erinnerung.

In jenen Worten der Ansprache an die UNO ist der ganze Mensch und Christ enthalten, der Nachfolger des Apostels Petrus geworden ist. Auch das Bild, das für ihn steht, ist ganz einfach und unmittelbar: eine Hand, die sich ausstreckt. Das dokumentiert ein Bericht des italienischen Fernsehens jener Jahre: Er zeigt den Papst, der als Gleicher unter Gleichen und als instinktiv moderner Mensch mit großer Einfachheit Hände schüttelt, die sich ihm entgegenstrecken, wobei er natürlich nicht vor jenen zurückweicht, die seine Hand küssen, aber ohne Ehrerweisungen zu suchen, die er für obsolet hielt. Auf dieses Symbol der sich öffnenden Hand verwies auch Joseph Ratzinger bei der heiligen Messe für den gerade verstorbenen Papst im Münchner Dom. Die Predigt des Theologen, der seit knapp einem Jahr – seit dem letzten Konsistorium von Paul VI. – Kardinal war, blieb damals vollkommen unbeachtet, obwohl sie eine grundlegende Deutung der Gestalt Montinis vorlegt. In einigen Zügen ist sie sogar eine beeindruckende Vorwegnahme des Schicksals, das Ratzinger selbst 35 Jahre später zuteil werden sollte. [...]
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