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Ohne Verbote gibt es keine Freiheit

Ohne Verbote gibt es keine Freiheit
Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies auf dem Fresko, das Michelangelo 1509/1510 an der Decke der Sixtinischen Kapelle schuf. Hinter dem Irrtum des Naturalismus in der modernen Pädagogik stehe meist die – unbewiesene – Ablehnung der christlichen Erbsündenlehre, so der italienische Politiker Rocco Buttiglione in seinem Beitrag.
Von Rocco Buttiglione, Mitglied der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften

Lobenswerterweise gibt es immer mehr Initiativen, die eine Reflexion über das Thema des Erziehungsnotstandes zum Inhalt haben. Zu ihnen gehört eine kürzlich erschienene wichtige Untersuchung, die vom Kulturprojekt der Italienischen Bischofskonferenz (CEI) durchgeführt wurde und den eindrücklichen Titel trägt: »Die erzieherische Herausforderung«. In den Mittelpunkt der Reflexion über dieses Thema sollte man, so scheint mir, ein Zitat Benedikts XVI. stellen: »Die gelungene Erziehung ist die Ausbildung zum rechten Gebrauch der Freiheit.«

Der Erziehungsnotstand unserer Zeit besteht gerade in den Schwierigkeiten, die Familie und Schule haben, wenn es darum geht, zur Freiheit zu erziehen, freie Menschen heranzubilden. Um die Tragweite des Problems zu verstehen, muß man zunächst ein sehr geläufiges Vorurteil beseitigen: daß es für die Erziehung zur Freiheit genüge, alle Bindungen zu lösen und den jungen Menschen einfach der natürlichen Entwicklung seiner Leidenschaften zu überlassen. Dieser Naturalismus ist seit Rousseau der »pròton pseùdos« (der »Grundirrtum«) der modernen Pädagogik. Wenn man etwas weiter in die Tiefe geht, entdeckt man hinter diesem Irrtum unschwer die – unbewiesene – Ablehnung der christlichen Erbsündenlehre. Es wird behauptet, daß der Trieb grundsätzlich gut sei: Er ist immer gut und braucht nicht von der Vernunft gesteuert zu werden. Und selbst wenn er einer solchen Steuerung bedarf, so erfolgt sie auf natürliche Weise, ohne daß man sich bemühen muß, einen Widerstand zu überwinden.

Der hl. Thomas dagegen meinte, daß die durch die Sünde verdorbene Natur dazu neige, sich den Regeln der rechten Vernunft zu widersetzen: Es ist das Gewicht der Begierde. Um es zu korrigieren, ist eine bewußte Willensanstrengung notwendig sowie ein anderes Gewicht, das den Willen ausrichtet: der »pondus amoris«, das Gewicht der Liebe. Bereits der hl. Augustinus schrieb: »Amor meus pondus meum« (»meine Liebe ist das Gewicht, das mich zieht«). Die Liebe zu Gott zieht mich zur Wahrheit und zum Guten, die ungeordnete Liebe zu mir selbst und zur Welt dagegen zur Lüge und zum Bösen. Die emanzipatorische und permissive Pädagogik unserer Zeit hat diese anthropologische Struktur des Menschen absichtlich mißachtet. Ziel war es, einen befreiten Menschen hervorzubringen. Die Ergebnisse sind jedoch von den anfänglichen Versprechungen weit entfernt. [...]
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