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Verlorene Mütterlichkeit?

Verlorene Mütterlichkeit?
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz studierte Philosophie, Germanistik und Politische Wissenschaften in München und Heidelberg und wurde im Jahr 1970 bei Ernesto Grassi zum Dr. phil. promoviert. Im Jahr 1979 habilitierte sie sich über die italienische Renaissancephilosophie. 1995 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar verliehen. Sie war Studienleiterin auf der Burg Rothenfels und lehrte als Privatdozentin an den Universitäten in München, Bayreuth, Tübingen und Eichstätt. Sie erhielt eine Professur für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Seit 1993 war sie Inhaberin des Lehrstuhls für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Inzwischen leitet sie das neu gegründete Institut EUPHRat (»Europäisches Institut für Philosophie und Religion«) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz bei Wien.
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Schöne neue Welt?

Brave New World, die Negativutopie von Aldous Huxley, führte 1932 das Schreckbild einer rein biologistisch verfassten und manipulierten Menschheit vor, in der Menschen industriell erzeugt und kollektiv erzogen werden. In dieser Welt war ein Wort von Grund auf verboten: das Wort »Mutter«. Nach gelungener Gehirnwäsche löste es widerwärtige Empfindungen aus. Der neue Mensch sollte sich nicht als gezeugt und geboren, sondern als gemacht verstehen, nur ein factum, weder genitum noch natum. Er sollte glauben, einzig der technisierten Gesellschaft und niemand anderem verdankt zu sein, keinem älteren persönlichen Du – oder am Ende gar Gott. Übrigens kam das Wort Vater ohnehin nicht mehr vor – offenbar war er noch leichter auszuschalten als die Mutter.

Nach Simone de Beauvoirs »Klassiker« Das andere Geschlecht (1949) waren nur noch strukturelle Fragen zuzulassen: Wie wird man eine Frau?, aber keine Wesenfragen mehr: Was ist eine Frau? Denn Frausein ist nach Beauvoir eine Erfindung männlicher List zur Abwälzung unangenehmer Aufgaben. Daher sei die Kategorie »weiblich« von Grund auf als repressiv zu ächten – und dem fiel auch Mutterschaft zum Opfer. Gebe es doch zwei »Fallen« des Frauseins: das Kind und den Mann; beide führten zu Bindungswillen und damit zu dauerhaften Pflichten. Vor allem das Kind stelle wegen seiner leib-seelischen Abhängigkeit die natürliche »Fessel der Frau« vor. Der weibliche Körper müsse „transzendiert“ und neutralisiert werden: durch chemische Einebnung des Biorhythmus, im schärfsten Fall durch Abtreibung. Frausein bleibt nur noch von der abstrakten Autonomie des Selbstseins bestimmt. Dieser Egalitätsfeminismus (»Frau muss Mann werden«) bestimmt bis heute überwiegend den Diskurs.

Natürlich war im Raum der katholischen Kirche die Verteidigung der Mutterschaft immer gegeben, prallte aber an diesem Diskurs weitgehend ab. Mit der Gendertheorie hat sich zudem eine weitere Leibvergessenheit durchgesetzt, die zwar von Frauen und Männern spricht, aber biologische Konstanten durch soziale Konstrukte abgelöst hat. So wird der Leib zum neutralen Körper reduziert und Mutterschaft vorwiegend im Rahmen technisch machbarer Fertilität behandelt.

Stabat mater und neue Ethik: Julia Kristeva

Doch gibt es erstaunlicherweise neue intellektuelle Anstöße in Richtung Mütterlichkeit, vorwiegend im Rahmen eines psychoanalytischen und phänomenologischen Leibverständnisses. Julia Kristeva (*1941), eine bulgarische, in Paris lebende Philosophin und Psychoanalytikerin, fiel auf, als sie die fehlende, ja verpönte Reflexion auf das Muttersein anmahnte mit dem kühn betitelten Aufsatz »Stabat mater« (1976). Die Buchseiten der deutschen Ausgabe sind gehälftet: In der rechten Kolumne stehen theoretische Gedanken zur Mutterschaft. Überraschend taucht auch die Gestalt der jungfräulichen Mutter auf; zugleich wird die starke kulturelle Wirkung dieser »imaginären Konstruktion« gewürdigt. In der linken Kolumne, in deutlich gefühlsbewegter Sprache, notiert Kristeva ihre eigenen Empfindungen während der Schwangerschaft und Geburt ihres Sohnes. Schon die erlebte Veränderung des mütterlichen Leibes weise auf eine Wirklichkeit hin, die unvergleichliche Erfahrungen bei der Geburt und in der Stillung des Kindes freisetze. [...]
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