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Kirche in der Welt

Als ob keine Sterne glänzten

Die Predigten der Hildegard von Bingen
Als ob keine Sterne glänzten
»Hildegard von Bingen beim Predigen«, Detail des Hildegardisaltars in der Rochuskapelle von Bingen
Von Valentina Giannacco

Köln im Jahre 1163: Die alte Äbtissin von Bingen hält von der Kanzel der majestätischen Kathedrale ihre mit Spannung erwartete Predigt. Der gesamte Klerus der Stadt ist ihretwegen zusammengekommen und hört ihr aufmerksam zu. Ihre Stimme hallt zwischen den mächtigen Mauern wider: keinerlei ängstliches Zittern in ihr lässt sich heraushören.

Denn es ist nicht die Frau, die Angst bekommt, auch wenn sie sich ganz allein einer mächtigen männlichen Hörerschaft gegenübersieht, sondern es ist letztere, die hart gescholten wird wegen der schweren Korruption, in die sie verfallen ist, wie auch wegen der Untätigkeit, die sie angesichts der um sich greifenden Häresie der Katharer an den Tag legte. Keiner der Anwesenden steht auf, um ihre Anklagen zu widerlegen. Sie wissen, dass die Worte der Predigt nicht die ihren sind, sondern dass sie direkt von Gott kommen, und der Eindruck, den sie in ihnen hinterlassen, ist unauslöschlich.

Das ist das Szenarium, vor dem eine der hochdramatischen Predigten Hildegards von Bingen (1098-1179) gehalten wurde, die von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen und zur Kirchenlehrerin erhoben wurde: »Diese große Frau und ›Prophetin‹ [spricht] mit großer Aktualität auch zu uns heute«, so sagte Papst Benedikt, »mit ihrer mutigen Fähigkeit, die Zeichen der Zeiten zu erkennen, mit ihrer Liebe zur Schöpfung, ihrer Medizin, ihrer Dichtung, ihrer Musik.« Es war für die Kirche ihrer Zeit – aber wir können ruhig sagen: schon immer – alles andere als leicht, eine Frau zu akzeptieren, die eine höchst intensive mystische Erfahrung erlebte und zugleich zu wissenschaftlichem Denken und künstlerischer Kreativität fähig war.

Hildegard lebte in finsteren Zeiten, in denen aufgrund der moralischen Verkommenheit des Klerus die Sterne »verdunkelt« waren, wie sie selbst es metaphorisch formulierte. Es war erforderlich, die Simonie auszurotten und das Konkubinat zu bekämpfen, und nur eine Persönlichkeit, die über eine unbestrittene Autorität verfügte, konnte diese schwierigste aller Aufgaben übernehmen. Aber woher kam die Autorität der »rheinischen Sibylle« und wie war es möglich, dass mitten im Mittelalter eine Frau ein so hohes öffentliches Amt ausübte? Eine Antwort liefert mit Sicherheit die Notsituation, in der sich die Kirche damals befand.

Einzig und allein Hildegards Charisma war dazu imstande, einen starken Einfluss auf die Gläubigen auszuüben und sie in den Schoß der Mutter Kirche zurückzuführen, und dadurch jenen Bruch zwischen Volk und Klerus zu heilen, den das fehlende moralische und religiöse Engagement des Letzteren verschuldet hatte. 1147 erkannte Eugen III. die Authentizität von Hildegards Visionen an, die auch von Bernhard von Clairvaux, dem Lehrmeister des Papstes, nachdrücklich verteidigt wurden. [...]
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