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Kultur
Bis ins 20. Jahrhundert waren Pferdefuhrwerke das vorrangige Fortbewegungsmittel im Vatikan

Als der Papst noch in der Kutsche fuhr

Als der Papst noch in der Kutsche fuhr
Berline, die unter den Pontifikaten von Papst Pius IX. bis Pius X. in Gebrauch war.
Von Ulrich Nersinger

»Wir standen in der Mitte des Petersplatzes neben dem Obelisken und erfreuten uns an den Sonnenstrahlen, welche sich in den Wassermassen der beiden schäumenden Springbrunnen in den glänzendsten Regenbogenfarben brachen, als plötzlich die gewaltigen Glocken von Sankt Peter zu läuten anfingen. Ein Stallmeister in reicher Uniform sprengte in gestrecktem Carriere über den Platz nach dem Vatikane zu, hinter ihm ritten langsamer ein Trupp Karabiniere und die Nobelgarden, welche eine rote, sechsspännige Fensterkutsche umgaben, deren Pferde mit Federbüschen geschmückt waren. Drei Diener standen zwischen dem Kutschbock und der Kutsche, drei andere hinter dem Wagen. Im Fond des Wagens saß ein alter Mann mit großer, roter Nase, der sehr gutmütig aussah. Er trug ein weißes Gewand und den roten Hut. Es war der Papst Gregor der Sechzehnte. Zwei Geistliche saßen entblößten Hauptes ihm gegenüber. Die vorüberfahrenden Equipagen hielten stille, Damen, welche sich darin befanden, knieten auf den Sitzen nieder. Auf dem Platze lag das Volk auf Knien. Die Figur in dem roten Wagen rührte sich nicht, machte nicht die leiseste Bewegung. Eine zweite, vierspännige Kutsche folgte der ersten, es befanden sich Geistliche darin, Karabiniere schlossen den Zug. Die Knienden erhoben sich, die Glocken läuteten immerfort, die Schweizerwache im Vatikan schlug die Trommel, bis der Heilige Vater ausgestiegen war, heimkehrend von einer Spazierfahrt«, berichtet Fanny Lewald in einem Reisebericht aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Ausfahrten »in carrozza«

Die eindrucksvolle Galakutsche, für die Papst Leo XII. (Annibale della Genga, 1823-1829) die stolze Summe von 26.000 Scudi aufgebracht hatte, war bis zum Ende des alten Kirchenstaates – ebenso wie andere päpstliche Kutschen – in den Straßen der Ewigen Stadt zu sehen. Um das Jahr 1500 war in Italien, zunächst in Florenz, der Gebrauch der Kutsche aufgekommen. Die Päpste bedienten sich der »carrozza« schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, auch wenn sie noch lange Zeit das Pferd oder die Sänfte bevorzugten. Die Ausfahrten des Papstes mit der Kutsche wurden in »pubblico« (öffentlich, das heißt hochoffiziell), »semipubblico e nobile« (halböffentlich), »di città« (städtisch), »privato« (privat), »di villeggiatura« (auf dem Weg zu einer der Sommerresidenzen) und »di viaggio« (eine Reise betreffend) eingeteilt.

Dramatisch gestaltete sich eine Kutschenfahrt des seligen Pius IX. (Giovanni Maria Mastai Ferretti, 1846-1878) zu Beginn seines dritten Pontifikatsjahres. Im November 1848 brach in Rom die Revolution aus. Der vom Papst eingesetzte Erste Minister, Graf Pellegrino Rossi, wurde am 15. November heimtückisch ermordet, die Residenz des Heiligen Vaters beim Quirinal vom Mob belagert. Am 24. November sah Pius IX. keinen anderen Ausweg mehr, als in das Königreich Neapel zu fliehen. Es war die einzige Möglichkeit, seine persönliche Freiheit und damit die der Kirche zu wahren. Seinen Bewachern im Palast entkam er mit Hilfe des französischen Gesandten. Verkleidet und im Schutze der Dunkelheit bestieg er an einem Seiteneingang des Quirinals eine Kutsche, die sein Leibdiener Benedetto Filippiani besorgt hatte. Die weitere Flucht lag in den Händen des Grafen Karl von Spaur, des bayerischen Gesandten am Heiligen Stuhl. [...]
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