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Kultur
Marc Chagall in der Synagoge der Universität von Hadassah

Prophetie auf Glas

Prophetie auf Glas
Marc Chagall (1887–1985).
Von Giovanni Kardinal Coppa

Die Mosaiken von Marc Chagall in der Knesset, dem israelischen Parlament in Jerusalem, sind sehr bekannt und werden von vielen Besuchern bewundert. Nahezu unbekannt sind dagegen die zwölf Fenster der Synagoge im medizinischen Zentrum der Universität von Hadassah, dem auch ein Krankenhaus angeschlossen ist.

Der große Gebäudekomplex, der 1961 erbaut wurde, liegt etwas außerhalb von Jerusalem an der Straße nach En Kerem, der Stadt Johannes’ des Täufers. Die Fenster, ein Werk des großen russischen Künstlers, nehmen die gesamten Wände der Synagoge ein, die im Februar 1962 eingeweiht wurde, und gehören zu seinen letzten großen Meisterwerken. Sie schaffen eine zutiefst bezaubernde Welt aus Licht und Farben.

Jedes der enormen Fensterpaneele ist einem der Söhne des Erzvaters Jakob und ihren Stämmen gewidmet und wurde in einem jeweils anderen Farbton ausgeführt. Als er die Fenster schuf, wollte Marc Chagall (1887–1985) darin gleichsam die Eingebung und die Werke seines ganzen Lebens verdichten, begonnen bei den ersten Erfahrungen mit Léon Bakst in Sankt Petersburg. Es folgten Moskau, Berlin und Paris und wieder Rußland. Dann floh er in die Vereinigten Staaten und schließlich nach Frankreich, trat mit dem frühen Surrealismus und mit dem Expressionismus in Kontakt und beherrschte die künstlerische Welt des vergangenen Jahrhunderts mit seiner grenzenlosen Phantasie: traumähnlich, grotesk, fabelhaft, phantastisch, voller Bewegung und Licht.

Gleichzeitig wollte er tief ergriffen dem jüdischen Volk seine Ehre erweisen. Er identifizierte sich mit seiner Geschichte, seinen Legenden und seinen Überlieferungen, die er sich seit seiner Kindheit in seinem jüdischen Geburtsort Witebsk zu eigen gemacht hatte. Der Künstler, der seinen ursprünglichen Namen Mark Shagal »französisiert « hatte, bekannte, daß er bei der Arbeit an den Fenstern das Gefühl hatte, daß sein Vater und seine Mutter ihm dabei über die Schulter sahen, zusammen mit Millionen von Juden, die »gestern und vor Tausenden von Jahren dahingegangen sind«. Die Komposition der Fenster führte er mit Hilfe eines Schülers durch, Charles Marq. Dabei bediente er sich nicht der üblichen Technik, bei der die Fenster aus in Blei gefaßten farbigen Glasstücken zusammengesetzt werden, sondern bedeckte das Glas mit feinen Pigmenten und benutzte bis zu drei Farben auf einer einzigen Scheibe. Eine in der Synagoge befindliche Notiz gibt Auskunft darüber, daß Marq sich nach Jerusalem begab, um herauszufinden, wo die Fenster am besten angebracht werden sollten, und um zu überprüfen, welche Lichtintensität notwendig sei, um jedes richtig hervorzuheben. [...]
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