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Kultur
Die Ursprünge des Gregorianischen Chorals

Über das Zusammentreffen von Kulturen

Über das Zusammentreffen von Kulturen
Die Legende erzählt, dass der Heilige Geist in Gestalt einer Taube Papst Gregor den Großen zur Schaffung sakraler Musik inspiriert habe. Der Autor des vorliegenden Artikels, Priester der Diözese Padua und Doktorand am Liturgischen Institut des Päpstlichen Athenäums Sant’ Anselmo in Rom, erzählt, wie es wirklich war.
Im Bild das sogenannte »Gregorblatt« aus der Trierer Stadtbibliothek (nach 983).
Von Claudio Campesato

Rom, das 6. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. Papst Gregor der Große betet: »Herr, schenke mir die Gabe der Musik, damit mir die Komposition heiliger Gesänge gelingen möge.« Plötzlich das ersehnte Zeichen: Eine weiße Taube kommt vom Himmel herab und lässt sich auf seiner rechten Schulter nieder. Ihr Schnabel nähert sich dem Ohr des Papstes, aber es ist nichts zu hören. Und so befruchtet der Heilige Geist das Herz des Papstes: Sein Gebet wurde erhört! Die Gabe der sakralen Musik erleuchtet sein Inneres und Papst Gregor unterbricht die Stille des Gebets, als er den Beginn von Psalm 25 singt: »Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele…«

Sein Leib und seine Stimme sind im Einklang, und zum Erstaunen aller Anwesenden springt er auf und verkörpert so die Komposition, die ihm der Heilige Geist eingegeben hat: er erhebt seine Seele mit einer Melodie, würdig das Lob Gottes zu singen. Der päpstliche Schreiber eilt herbei und beginnt, mit Zeichen auf einer Tafel festzuhalten, was später in allen liturgischen Büchern überliefert werden sollte. Der Gesang der römischen Kirche war geboren und dessen Vater war Papst Gregor.

Diese Geschichte, gleichsam eine zweite Verkündigung – wie an Maria – des gesungenen Wortes, steht am Ursprung dessen, was wir als gregorianischen Gesang kennen. Eine Legende, die zu Beginn eines jeden Kirchenjahres andächtig überliefert wurde, denn vor dem Eingangshymnus (Introitus) fügten die Sänger in Kathedralen und Klosterkirchen jahrhundertelang Worte und Musik von Psalm 25 hinzu, um an dieses legendäre außergewöhnliche Ereignis zu erinnern.

Aber das ist leider nur Legende, denn es vergingen mindestens 200 Jahre zwischen Papst Gregor I., der als Gregor der Große in die Geschichte einging, und den ersten sogenannten »gregorianischen« Gesängen. Wie entstand dann der gregorianische Gesang? Dazu müssen wir von Rom in das Gebiet aufbrechen, das wir heute als Frankreich kennen. Unter der Herrschaft von Pippin dem Kurzen und dann seinem Sohn Karl dem Großen wurde hier, im Gallien des 8. und 9. Jahrhunderts, der »cantus Romanus« Roms zum »cantus Romanus« Galliens. Richtig zu singen war ebenso wie den Gottesdienst richtig zu feiern ein Wunsch, ja ein Befehl der Herrschenden und bedeutete nur eines: von Rom zu lernen.

Aus frühmittelalterlichen Aufzeichnungen wissen wir, dass ein Kantor, ein gewisser Simeon, der zweitwichtigste Sänger der »schola romana« (des Päpstlichen Chores), im Jahr 760 aus dem Norden des heutigen Frankreich nach Rom zurückgerufen wurde. Einige Jahre lang hatte er sich in der Erzdiözese Rouen aufgehalten, um den Sängern des Erzbischofs Remigius die »Cantilena Romana« beizubringen, das heißt den alten römischen Gesang, der damals in den Basiliken Roms erklang. Damals gab es weder Tonaufnahmen noch eine Notenschrift, um die Melodien aufzuzeichnen. Alles war dem Gedächtnis anvertraut, wobei man sich ausgeklügelter Techniken bediente, um es optimal zu nutzen. [...]
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