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Kultur

Bildrhetorisches Lob der Barmherzigkeit

Bildrhetorisches Lob der Barmherzigkeit
Auferstandener Christus mit dem Kreuz und die sechs Werke der Barmherzigkeit um 1580/90, Kupferstich, Hendrick Goltzius
Von Ralf van Bühren
Päpstliche Universität Santa Croce, Rom


Im 16. Jahrhundert waren »Caritas« und Barmherzigkeit wichtige Bildmotive der Kunst. Das ikonographische Interesse der Frühneuzeit für die Armenfürsorge hatte sich aus der sozialen Verantwortung und theologischen Tradition des christlichen Mittelalters entwickelt. Nach 1517 setzten sich die einzelnen Konfessionen allerdings verschieden mit dem Thema auseinander. Auf katholischer Seite konnten die Lehren des Trienter Konzils über das Almosen und die Sakralkunst die intensive Bildproduktion zum Thema Barmherzigkeit beleben.

In Antwerpen erschien 1589 der Catechismus imaginibus ornatus bei dem Verleger und Buchdrucker Christoph Plantin. Das illustrierte Buch, dessen Autor vermutlich der Jesuit Petrus Canisius war, enthält zahlreiche Holzschnitte, darunter sieben Darstellungen der Werke der Barmherzigkeit. In seinem Titel (Institutiones Christianae, seu Parvus Catechismus Catholicorum) bezieht sich der Antwerpener Bilderkatechismus auf das Trienter Bilderdekret (1563), demzufolge die Gläubigen durch Bilder »erzogen und bestärkt« werden, »sich der Glaubensartikel zu erinnern«.

Diese didaktische Funktion der Bilder war im nachtridentinischen Antwerpen üblich, nachdem Alessandro Farnese die Stadt 1585 erobert hatte. Seitdem kam es dort und in den südlichen Provinzen der Niederlande zur Rekatholisierung. Die Überzeugung von der sozialen und moralischen Notwendigkeit der christlichen Nächstenliebe festigte sich besonders durch die Bürgersodalitäten, die von Jesuiten gegründet worden waren und sich karitativ engagierten. Hinzu kamen Predigten und Volkskatechesen, die die katholischen Glaubenssätze öffentlich bekräftigten. Auch die Künstler beteiligten sich an diesem Tugendlob der Barmherzigkeit.

Das galt ebenfalls für den protestantischen Norden der Niederlande, wie der Zeichner, Kupferstecher und Maler Hendrick Goltzius (1558-1617) verdeutlicht. Als bedeutender Vertreter des holländischen Spätmanierismus arbeitete er in Haarlem, wo die Reformierten seit 1578 die politische Macht besaßen. Dort schuf Goltzius um 1580/90 einen Kupferstich mit den Werken der Barmherzigkeit, der in Antwerpen verlegt wurde.

Ab 1574 erlernte Goltzius die Stecherkunst bei Dirck Volckertszoon Coornhert, der sich als Glaubensflüchtling in Xanten aufhielt. 1577 siedelte Goltzius mit seinem Lehrer nach Haarlem um, wo er seit 1582 seine eigene Druckerwerkstatt führte. Vermutlich über Coornhert kam er in Kontakt mit dem Antwerpener Verlagsunternehmer Philipp Galle, für den er von Haarlem aus tätig war.

1590 reiste Goltzius über München nach Rom. 1591 kehrte er über denselben Weg zurück. Die im Süden gewonnenen Eindrücke der antiken und zeitgenössischen Kunst setzte er speziell in der Druckgraphik um. Nach 1600 schuf Goltzius fast nur noch Gemälde.

Kombination von Haupt- und Nebenszenen

Die zentrale Gestalt des besagten Kupferstichs ist der auferstandene Christus mit dem Kreuz. Frühe Abzüge des Blattes tragen die Inschrift HGoltzius inuentor et sculptor / aux 4 vents, das heißt sie wurden durch Hieronymus Cock in Antwerpen verlegt. Das Unternehmen Cocks wurde um 1550 gegründet und nach seinem Tode (1570) durch seine Witwe bis um 1600 weitergeführt. Die späteren Abzüge des Stichs tragen die Adresse von Adriaen Collaert (HGoltzius inuentor et sculptor / Adriaen Collaert excud.) bzw. Carel Collaert, deren Verlage ebenso in Antwerpen waren. [...]
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