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Generalaudienz in der »Aula Paolo VI« am 21. November

Die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott

Die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott
Liebe Brüder und Schwestern!

Wir schreiten im Jahr des Glaubens voran und tragen in unserem Herzen die Hoffnung, neu zu entdecken, wieviel Freude im Glauben liegt, und die Begeisterung wiederzufinden, allen die Glaubenswahrheiten zu vermitteln. Diese Wahrheiten sind nicht einfach nur eine Botschaft über Gott, eine besondere Information über ihn. Vielmehr bringen sie das Ereignis der Begegnung Gottes mit den Menschen zum Ausdruck, eine heilbringende und befreiende Begegnung, die die tiefsten Bestrebungen des Menschen, sein Verlangen nach Frieden, nach Brüderlichkeit, nach Liebe verwirklicht. Der Glaube führt zu der Entdeckung, daß die Begegnung mit Gott das Wahre, Gute und Schöne im Menschen zur Geltung bringt, vervollkommnet und erhebt. So geschieht es, daß Gott sich offenbart und sich erkennen läßt und der Mensch gleichzeitig erfährt, wer Gott ist. Und indem er ihn erkennt, entdeckt er sich selbst, den eigenen Ursprung, die eigene Bestimmung, die Größe und die Würde des menschlichen Lebens.

Neuer Geschmack am Leben

Der Glaube ermöglicht ein echtes Wissen über Gott, das die ganze menschliche Person einbezieht: Es ist ein »sapere«, also ein Erkennen, das dem Leben »sapor«, Geschmack, verleiht – einen neuen Geschmack am Leben, ein freudiges Dasein auf der Welt. Der Glaube kommt in der Selbsthingabe für die anderen zum Ausdruck, in der Brüderlichkeit, die solidarisch und liebesfähig macht und die Einsamkeit, die traurig macht, überwindet. Diese Erkenntnis Gottes durch den Glauben betrifft daher nicht nur den Verstand, sondern das ganze Leben. Sie ist die Erkenntnis Gottes, der die Liebe ist, durch seine eigene Liebe. Die Liebe Gottes läßt erkennen, öffnet die Augen, gestattet es, die ganze Wirklichkeit zu erkennen, über die beschränkten Sichtweisen des Individualismus und des Subjektivismus hinaus, die dem Gewissen die Orientierung nehmen. Die Erkenntnis Gottes ist daher Erfahrung des Glaubens und setzt gleichzeitig einen intellektuellen und einen moralischen Weg voraus: Zutiefst berührt von der Gegenwart des Geistes Jesu in uns überwinden wir die Horizonte unserer Egoismen und öffnen uns gegenüber den wahren Werten des Daseins.

In der heutigen Katechese möchte ich über die Vernünftigkeit des Glaubens an Gott sprechen. Die katholische Tradition hat von Anfang an den sogenannten Fideismus abgelehnt, also den Willen, auch gegen die Vernunft zu glauben. »Credo quia absurdum« (ich glaube, weil es unvernünftig ist) ist keine Formel, die den katholischen Glauben zum Ausdruck bringt. Denn Gott ist nicht etwas Unvernünftiges, sondern allenfalls Geheimnis. Das Geheimnis wiederum ist nicht irrational, sondern Überfülle an Sinn, an Bedeutung, an Wahrheit. Wenn der Vernunft das Geheimnis dunkel erscheint, dann nicht, weil es im Geheimnis kein Licht gibt, sondern weil es vielmehr zuviel davon gibt. So sehen die Augen des Menschen, wenn er sie direkt auf die Sonne richtet, um sie zu betrachten, nur Finsternis. Aber wer würde behaupten, daß die Sonne nicht leuchtet, ja sogar die Quelle des Lichts ist? Der Glaube gestattet es, die »Sonne«, Gott, zu betrachten, weil er die Annahme seiner Offenbarung in der Geschichte ist. Er empfängt sozusagen wirklich die ganze Helligkeit des Geheimnisses Gottes und erkennt sein großes Wunder: Gott ist zum Menschen gekommen, er hat sich seiner Erkenntnis dargeboten, indem er sich zur kreatürlichen Grenze seiner Vernunft herabgelassen hat (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 13). Gleichzeitig erleuchtet Gott mit seiner Gnade die Vernunft, öffnet ihr neue, unermeßliche und unendliche Horizonte. Daher stellt der Glaube einen Ansporn dar, immer zu suchen, nie stehenzubleiben und sich in der unermüdlichen Entdeckung der Wahrheit und der Wirklichkeit nie zufriedenzugeben. Das Vorurteil gewisser moderner Denker, denen zufolge die menschliche Vernunft von den Glaubenssätzen gleichsam blockiert werde, ist falsch. Genau das Gegenteil ist wahr, wie die großen Meister der katholischen Tradition gezeigt haben. Der hl. Augustinus sucht vor seiner Bekehrung mit viel Unruhe die Wahrheit in allen verfügbaren Philosophien, und findet sie alle unbefriedigend. Sein mühsames rationales Suchen ist für ihn eine wichtige Lehre für die Begegnung mit der Wahrheit Christi. Wenn er sagt: »Glaube, um überhaupt verstehen zu können – Verstehe, um zu glauben« (Sermo 43,9; PL 38,258), dann ist es als teilte er seine eigene Lebenserfahrung mit. Verstand und Glaube sind angesichts der göttlichen Offenbarung einander nicht fremd und stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern beide sind Voraussetzungen, um ihren Sinn zu verstehen, ihre wahre Botschaft zu erfassen und sich der Schwelle des Geheimnisses zu nähern. Der hl. Augustinus ist zusammen mit vielen anderen christlichen Autoren Zeuge für einen Glauben, der mit der Vernunft ausgeübt wird, der denkt und zum Denken einlädt. Auf derselben Linie sagt der hl. Anselm in seinem Proslogion, der katholische Glaube sei »fides quaerens intellectum«, wobei die Suche nach dem Verständnis ein dem Glauben innewohnender Akt ist. Vor allem der hl. Thomas von Aquin stützt sich auf diese Tradition, setzt sich mit der Vernunft der Philosophen auseinander und zeigt, wieviel neue fruchtbare Lebenskraft dem menschlichen Denken aus der Verbindung mit den Prinzipien und den Wahrheiten des christlichen Glaubens erwächst. Der christliche Glaube ist also vernünftig und setzt auch Vertrauen in die menschliche Vernunft. Das Erste Vatikanische Konzil sagte in der Dogmatischen Konstitution Dei Filius, daß über den Weg der Schöpfung die menschliche Vernunft die Existenz Gottes sicher erkennen kann, während nur dem Glauben die Möglichkeit innewohnt, »ohne Schwierigkeit, mit sicherer Gewißheit und ohne Beimischung eines Irrtums« (DS 3005) die Wahrheiten über Gott im Licht seiner Gnade zu erkennen. Die Glaubenserkenntnis steht außerdem der aufrichtigen Vernunft nicht entgegen. Der sel. Papst Johannes Paul II. faßt es in der Enzyklika Fides et ratio folgendermaßen zusammen: »Die Vernunft nimmt sich durch ihre Zustimmung zu den Glaubensinhalten weder zurück noch erniedrigt sie sich; zu den Glaubensinhalten gelangt man in jedem Fall durch freie Entscheidung und das eigene Gewissen« (Nr. 43). Im unwiderstehlichen Verlangen nach Wahrheit ist nur eine harmonische Beziehung zwischen Glauben und Vernunft der richtige Weg, der zu Gott und zur vollen Selbsterfüllung führt. [...]
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