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Aus dem Vatikan
Generalaudienz auf dem Petersplatz am 7. November

Das innere Verlangen nach Gott

Das innere Verlangen nach Gott
Liebe Brüder und Schwestern!

Der Weg der Reflexion, den wir in diesem Jahr des Glaubens gemeinsam beschreiten, läßt uns heute über einen faszinierenden Aspekt der menschlichen und christlichen Erfahrung nachdenken: Der Mensch trägt ein geheimnisvolles Verlangen nach Gott in sich. Bedeutsamerweise wird der Katechismus der Katholischen Kirche gerade mit folgenden Überlegungen eröffnet: »Das Verlangen nach Gott ist dem Menschen ins Herz geschrieben, denn der Mensch ist von Gott und für Gott erschaffen. Gott hört nie auf, ihn an sich zu ziehen. Nur in Gott wird der Mensch die Wahrheit und das Glück finden, wonach er unablässig sucht« (Nr. 27).

Eine solche Aussage, die auch heute in vielen Kulturkreisen völlig annehmbar, ja beinahe selbstverständlich wirkt, könnte im säkularisierten westlichen Kulturkreis dagegen als Provokation erscheinen, denn viele unserer Zeitgenossen könnten einwenden, daß sie überhaupt kein solches Verlangen nach Gott spüren. Für große Teile der Gesellschaft ist er nicht mehr der Erwartete, der Herbeigesehnte, sondern vielmehr eine Wirklichkeit, der man gleichgültig gegenübersteht, die es nicht einmal der Mühe wert ist, sich dazu zu äußern. In Wirklichkeit ist das, was wir als »Verlangen nach Gott« bezeichnet haben, nicht völlig verschwunden, sondern es taucht auch heute in vielerlei Weise im Herzen des Menschen auf. Das menschliche Verlangen ist stets auf bestimmte konkrete Güter ausgerichtet, die oft alles andere als geistlich sind, und dennoch steht der Mensch vor der Frage, was wirklich »das« Gute ist, und muß sich also mit etwas auseinandersetzen, das etwas anderes ist als er selbst, das er nicht selbst herstellen kann, sondern zu erkennen aufgefordert ist. Was kann das Verlangen des Menschen wirklich stillen?

In meiner ersten Enzyklika Deus caritas est habe ich versucht zu analysieren, wie diese Dynamik in der Erfahrung der menschlichen Liebe umgesetzt wird – einer Erfahrung, die in unserer Zeit einfach als ein Augenblick der Ekstase wahrgenommen wird, des Herauskommens aus sich selbst, als ein Ort, an dem der Mensch spürt, von einem Verlangen durchdrungen zu sein, das ihn übersteigt. Durch die Liebe erfahren Mann und Frau auf neue Weise, einer durch den anderen, die Größe und die Schönheit des Lebens und der Wirklichkeit. Wenn das, was wir erfahren, nicht einfach nur eine Illusion ist, wenn ich wirklich das Wohl des anderen will – auch als Weg zu meinem eigenen Wohl –, dann muß ich bereit sein, selbst aus dem Mittelpunkt herauszutreten, mich in seinen Dienst zu stellen, bis hin zum Selbstverzicht. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Erfahrung der Liebe durchläuft also die Läuterung und die Heilung des Willens, die von dem Wohl verlangt werden, das man für den anderen will. Man muß üben, trainieren, sich auch korrigieren, damit dieses Wohl wirklich gewollt werden kann.

Die anfängliche Ekstase wird so zum Pilgerweg, zum »ständigen Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja, zur Findung Gottes« (Enzyklika Deus caritas est, 6). Durch diesen Weg kann die Erkenntnis der Liebe, die der Mensch anfangs erfahren hat, allmählich tiefer werden. Und auch das Geheimnis, für das sie steht, nimmt immer deutlicher Gestalt an: Denn nicht einmal die geliebte Person kann das Verlangen stillen, das im menschlichen Herzen wohnt, sondern je authentischer die Liebe zum anderen ist, desto mehr wirft sie die Frage über ihren Ursprung und ihre Bestimmung auf, über ihre Möglichkeit, auf immer zu währen. Die menschliche Erfahrung der Liebe hat also eine Dynamik in sich, die über sich selbst hinausweist, sie ist die Erfahrung von etwas Gutem, das den Menschen aus sich selbst herausgehen läßt und ihn dem Geheimnis gegenüberstellt, das die gesamte Existenz umgibt. [...]
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