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Aus dem Vatikan
Generalaudienz auf dem Petersplatz am 9. November

Das göttliche Gesetz ist Quell des Lebens

Das göttliche Gesetz ist Quell des Lebens
Liebe Brüder und Schwestern!

In den vergangenen Katechesen haben wir einige Psalmen betrachtet, die Beispiele sind für die Gattungen, die das Gebet kennzeichnen: Klage, Vertrauen, Lobpreis. In der heutigen Katechese möchte ich über Psalm 119 nach der hebräischen – 118 nach der griechisch-lateinischen – Überlieferung sprechen: Es ist ein ganz besonderer, einzigartiger Psalm. Das ist er zunächst schon wegen seiner Länge, denn er besteht aus 176 Versen, die in 22 Strophen mit jeweils acht Versen unterteilt sind. Außerdem hat er die Besonderheit, ein »alphabetisches Akrostichon« zu sein: Er ist also nach dem hebräischen Alphabet aufgebaut, das aus 22 Buchstaben besteht. Jede Strophe entspricht einem Buchstaben dieses Alphabets, und mit diesem Buchstaben beginnt das erste Wort der acht Verse der Strophe. Es handelt sich um ein originelles und sehr anspruchsvolles literarisches Werk, in dem der Autor des Psalms sein ganzes Können aufbieten mußte.

Wort des Lebens und der Glückseligkeit

Das Wichtigste für uns ist jedoch das zentrale Thema dieses Psalms: Es handelt sich um ein eindrucksvolles und feierliches Gebet über die Tora des Herrn, also über sein Gesetz. Dieser Begriff muß in seinem weitesten und vollendeten Sinn als Lehre, Anweisung, Lebensunterweisung verstanden werden; die Tora ist Offenbarung, ist Wort Gottes, das Fragen an den Menschen richtet und als Antwort vertrauensvollen Gehorsam und großherzige Liebe hervorruft. Und von Liebe zum Wort Gottes ist dieser Psalm ganz durchdrungen; er feiert seine Schönheit, seine rettende Kraft, seine Fähigkeit, Freude und Leben zu schenken. Denn das göttliche Gesetz ist kein schweres Joch der Knechtschaft, sondern eine Gnadengabe, die frei macht und zur Glückseligkeit führt. »Ich habe meine Freude an deinen Gesetzen, / dein Wort will ich nicht vergessen«, sagt der Psalmist (V. 16); und dann: »Führe mich auf dem Pfad deiner Gebote! / Ich habe an ihm Gefallen « (V. 35); und mehr noch: »Wie lieb ist mir deine Weisung; / ich sinne über sie nach den ganzen Tag« (V. 97). Das Gesetz des Herrn, sein Wort ist der Mittelpunkt des Lebens des Beters; in ihm findet er Trost, er macht es zum Gegenstand der Betrachtung, er bewahrt es in seinem Herzen: »Ich berge deinen Spruch im Herzen, / damit ich gegen dich nicht sündige« (V. 11), und das ist das Geheimnis des Glücks des Psalmisten; und dann noch: »Stolze verbreiten über mich Lügen, / aber ich halte mich von ganzem Herzen an deine Befehle« (V. 69).

Die Treue des Psalmisten entspringt dem Hören auf das Wort, das er im Innersten bewahren muß, indem er darüber nachdenkt und es liebt, genau wie Maria. Sie »bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach«: die Worte, die an sie gerichtet waren und die wunderbaren Ereignisse, in denen Gott sich offenbarte und um ihre gläubige Zustimmung bat (vgl. Lk 2,19.51). Und wenn unser Psalm in den ersten Versen damit beginnt, daß er jene selig preist, »die leben nach der Weisung des Herrn« (V. 1b) und »die seine Vorschriften befolgen « (V. 2a), so ist es wiederum die Jungfrau Maria, die die vollkommene Gestalt des Gläubigen, die der Psalmist beschreibt, zur Vollendung bringt. Denn sie ist wahrhaft »selig«, wie Elisabet verkündigt, weil sie »geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lk 1,45). Und von ihr und ihrem Glauben legt Jesus selbst Zeugnis ab, als er der Frau, die gerufen hatte: »Selig die Frau, deren Leib dich getragen«, antwortet: »Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen« (Lk 11,27–28). Gewiß, Maria ist selig, weil ihr Leib den Erlöser getragen hat, vor allem aber, weil sie die Verkündigung Gottes angenommen, weil sie sein Wort fürsorglich und liebevoll bewahrt hat. [...]
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