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Aus dem Vatikan
Seelenmesse für den verstorbenen Papst Benedikt XVI. und die Kardinäle und Bischöfe, die im Laufe des Jahres verschieden sind

Gott sucht demütige Menschen, die auf ihn hoffen

Predigt von Papst Franziskus am 3. November
Gott sucht demütige Menschen, die auf ihn hoffen
Der Beginn des Monats November steht im Zeichen des Gedenkens an die Toten. So feiert der Papst jedes Jahr eine heilige Messe für die in den vergangenen zwölf Monaten verstorbenen Bischöfe und Kardinäle. Im vergangenen Jahr verstarben sechs Kardinäle, darunter der Deutsche Karl-Josef Rauber. Seit Oktober 2022 starben zudem 147 Bischöfe und Erzbischöfe. Dieses Jahr aber galt die Messe im Petersdom in besonderer Weise dem Gedenken an Benedikt XVI., der am 31. Dezember 2022 im Alter von 95 Jahren verstorben war.
Jesus ist auf dem Weg nach Naïn, die Jünger und »eine große Volksmenge« gehen mit ihm (vgl. Lk 7,11). Während er sich dem Stadttor nähert, ist ein anderer Zug unterwegs, allerdings in die entgegengesetzte Richtung: Er schreitet hinaus, um den einzigen Sohn einer Mutter zu begraben, die Witwe ist. Und im Evangelium heißt es: »Als der Herr die Frau sah, hatte er Mitleid mit ihr« (Lk 7,13). Jesus sieht und lässt sich von Mitleid ergreifen. Benedikt XVI., dessen wir heute zusammen mit den in diesem Jahr verstorbenen Kardinälen und Bischöfen gedenken, hat in seiner ersten Enzyklika geschrieben, das Programm Jesu sei »das sehende Herz« (Deus caritas est, 31). Wie oft hat er uns daran erinnert, dass der Glaube nicht in erster Linie eine Idee ist, die man verstehen, oder eine Moral, die man sich zu eigen machen kann, sondern eine Person, der wir begegnen sollen, Jesus Christus: Sein Herz schlägt für uns höher, sein Blick erbarmt sich angesichts unserer Leiden.

Der Herr hält angesichts des Schmerzes über jenen Tod inne. Es ist bemerkenswert, dass das Lukasevangelium Jesus gerade bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal mit dem Titel »Herr« bezeichnet: »Der Herr hatte Mitleid.« Er wird gerade im Akt seines Mitgefühls für eine verwitwete Mutter, die mit ihrem einzigen Sohn den Grund zum Leben verloren hatte, Herr genannt – also Gott, der die Herrschaft über alles hat. Dies ist unser Gott, dessen Göttlichkeit in der Berührung mit unserem Elend aufleuchtet, weil sein Herz barmherzig ist. Die Auferweckung jenes Sohnes, das Geschenk des Lebens, das den Tod besiegt, kommt genau von dort: aus dem Mitgefühl des Herrn, der angesichts unseres größten Übels, des Todes, tief betroffen ist. Wie wichtig ist es, diesen Blick des Mitgefühls denjenigen weiterzugeben, die wegen des Todes eines geliebten Menschen Schmerz empfinden!

Das Mitgefühl Jesu hat eine Besonderheit: Es ist konkret. So heißt es im Evangelium: »Er trat heran und berührte die Bahre« (Lk 7,14). Die Bahre eines Toten zu berühren, war nutzlos. Außerdem galt das zu jener Zeit als eine unreine Geste, die denjenigen, der sie ausführte, unrein machte. Aber Jesus achtet nicht darauf, sein Mitgefühl beseitigt die Distanz und drängt ihn dazu, nahe zu sein. Das ist der Stil Gottes, der aus Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit besteht. Und aus wenigen Worten. Christus predigt nicht über den Tod, sondern sagt nur eines zu dieser Mutter: »Weine nicht!« (Lk 7,13). Warum? Ist es etwa falsch, zu weinen? Nein. Jesus selbst weint in den Evangelien. Aber zu jener Mutter sagt er: Weine nicht, weil die Tränen mit dem Herrn nicht ewig anhalten, sie haben ein Ende. Er ist der Gott, der, wie die Heilige Schrift prophezeit, »den Tod für immer verschlungen« hat und »die Tränen von jedem Gesicht abwischen« wird (Jes 25,8; vgl. Offb 21,4). Er hat sich unsere Tränen zu eigen gemacht, um sie von uns zu nehmen.

Dies ist das Erbarmen des Herrn, das so weit geht, jenem jungen Sohn das Leben zurückzugeben. Jesus tut dies im Gegensatz zu anderen Wundern, ohne auch nur von der Mutter zu verlangen, Glauben zu haben. Warum ein so außergewöhnliches und so seltenes Wunder? Weil hier die Waise und die Witwe betroffen sind, die die Bibel zusammen mit dem Fremden als die einsamsten und verlassensten Menschen bezeichnet, die ihr Vertrauen auf niemand anderen als Gott setzen können. Die Witwe, die Waise, der Fremde. Sie sind also die Menschen, die dem Herrn am nächsten und am liebsten sind. Man kann Gott nicht nahe und teuer sein, wenn man diejenigen außer Acht lässt, welche seinen Schutz und seine Vorliebe genießen und die uns im Himmel willkommen heißen werden. Die Witwe, die Waise, der Fremde.

Indem wir auf sie blicken, lernen wir etwas Wichtiges, das ich im zweiten Wort des heutigen Tages zusammenfasse: Demut. Die Waise und die Witwe sind nämlich die Demütigen schlechthin, diejenigen, die alle Hoffnung auf den Herrn und nicht auf sich selbst setzen und somit den Mittelpunkt ihres Lebens zu Gott hin verlagert haben: Sie zählen nicht auf ihre eigenen Kräfte, sondern auf ihn, der für sie sorgt. Diese Menschen, die jegliche anmaßende Selbstgenügsamkeit ablehnen, erkennen, dass sie auf Gott angewiesen sind, und sie vertrauen auf ihn, sie sind die Demütigen. Und es sind diese Armen im Geiste, die uns die Kleinheit offenbaren, die dem Herrn so sehr wohlgefällig ist, den Weg, der zum Himmel führt. Gott sucht demütige Menschen, die auf ihn hoffen und nicht auf sich selbst und ihre eigenen Pläne. Brüder und Schwestern, das ist die christliche Demut: Sie ist nicht eine Tugend unter anderen, sondern die grundlegende Haltung des Lebens: glauben, dass wir auf Gott angewiesen sind und ihm Raum geben, indem wir unser ganzes Vertrauen in ihn setzen. Das ist die christliche Demut. [...]
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