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Aus dem Vatikan
Generalaudienz auf dem Petersplatz am 12. September

Wahre Liebe ist wahre Freiheit

Wahre Liebe ist wahre Freiheit
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

In der heutigen Katechese kommen wir noch einmal auf das dritte Gebot über den Ruhetag zurück. Der Dekalog, der im Buch Exodus überliefert wird, wird im Buch Deuteronomium wiederholt, auf fast identische Weise, mit Ausnahme des dritten Wortes, in dem ein bemerkenswerter Unterschied auftritt: Während im Exodus der Grund für den Ruhetag die Segnung der Schöpfung ist, erinnert er im Deuteronomium dagegen an das Ende der Sklaverei. An diesem Tag muss der Sklave ebenso ruhen wie der Herr, um das Gedächtnis des Pascha der Befreiung zu feiern.

Denn Sklaven können definitionsgemäß nicht ruhen. Es gibt jedoch viele Arten von Sklaverei, sowohl äußerer als auch innerer. Es gibt äußere Zwänge wie Unterdrückung, durch Gewalt und andere Formen des Unrechts beschlagnahmte Leben. Außerdem gibt es innere Gefangenschaften wie zum Beispiel psychologische Blockierungen, Komplexe, charakterliche Grenzen und andere. Gibt es unter diesen Umständen Ruhe? Kann ein inhaftierter oder unterdrückter Mensch trotzdem frei sein? Und kann ein von inneren Schwierigkeiten gequälter Mensch frei sein?

Tatsächlich gibt es Menschen, die sogar im Gefängnis in großer innerer Freiheit leben. Denken wir zum Beispiel an den heiligen Maximilian Kolbe oder an Kardinal Van Thuân, die finstere Unterdrückung in Orte des Lichtes verwandelt haben. Ebenso gibt es Menschen, die von großer innerer Schwäche gezeichnet sind, aber dennoch die Ruhe der Barmherzigkeit kennen und sie weiterzugeben wissen. Die Barmherzigkeit Gottes macht uns frei. Und wenn du der Barmherzigkeit Gottes begegnest, dann hast du große innere Freiheit und bist in der Lage, sie weiterzugeben. Darum ist es so wichtig, offen zu sein für die Barmherzigkeit Gottes, um nicht Sklaven unserer selbst zu sein.

Was also ist die wahre Freiheit? Besteht sie vielleicht in der Entscheidungsfreiheit? Gewiss ist diese ein Teil der Freiheit, und wir setzen uns dafür ein, sie für jeden Mann und jede Frau zu gewährleisten (vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 73). Aber wir wissen gut, dass es nicht genügt, tun zu können, was man will, um wirklich frei und auch nicht, um glücklich zu sein. Die wahre Freiheit ist viel mehr. Denn es gibt eine Sklaverei, die stärker fesselt als ein Gefängnis, stärker als eine Panikattacke, stärker als ein Zwang jeglicher Art: Es ist die Sklaverei des eigenen Ego. Jene Menschen, die sich den ganzen Tag im Spiegel betrachten, um das eigene Ego zu sehen. Und das eigene Ego ist von größerer Statur als der eigene Leib. Sie sind Sklaven des Ego. Das Ego kann zum Folterknecht werden, der den Menschen quält, wo auch immer er sich befindet, und ihm die schlimmste Unterdrückung zufügt, die »Sünde« genannt wird. Sie ist nicht die banale Übertretung eines Gesetzes, sondern das Scheitern der Existenz und Sklaverei (vgl. Joh 8,34). Die Sünde bedeutet letztlich ein egoistisches Sprechen und Handeln: »Ich will das tun, und es interessiert mich nicht, ob es eine Grenze gibt, ob es ein Gebot gibt, und es interessiert mich auch nicht, ob es die Liebe gibt.«

Denken wir beim Ego zum Beispiel an die menschlichen Leidenschaften: der Gefräßige, der Wollüstige, der Geizige, der Zornige, der Neidische, der Überdrüssige, der Stolze – und so weiter – sind Sklaven ihrer Laster, die sie tyrannisieren und quälen. Es gibt keine Ruhe für den Gefräßigen, denn die Völlerei ist die Heuchelei des Magens, der voll ist, aber uns glauben macht, dass er leer sei. Der heuchlerische Magen macht uns gefräßig. Wir sind Sklaven eines heuchlerischen Magens. Es gibt keine Ruhe für den Gefräßigen und den Wollüstigen, die im Genuss leben müssen; die Angst um den Besitz zerstört den Geizigen. Immer häufen sie Geld auf und tun anderen Böses; das Feuer des Zorns und der Stachel des Neids zerstören Beziehungen. Die Kirchenschriftsteller sagen, dass der Neid den Leib und die Seele gelb werden lässt, denn nie können sie die frische Gesundheit der Seele haben. Der Neid zerstört. Der Überdruss, der jede Mühe scheut, macht unfähig zu leben; der überhebliche Egozentrismus – jenes Ego, von dem ich gesprochen habe – gräbt eine Grube zwischen sich und den anderen. [...]
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